Droht eine neue Adpocalypse? YouTube beendet gezielte Werbung „für Kinder“ - nachvollziehbare Entscheidung, Umsetzung auf Rücken der Creator
13.09.2019
Gezielte Werbung auf YouTube-Videos "für Kinder" wird ab dem 1. Januar 2020 nicht mehr erlaubt sein. Viele YouTube Creators sind in tiefer Sorge: Droht eine neue Adpocalypse? Sie fragen sich: Wird wieder von denselben fehleranfälligen automatischen Systemen entschieden, welche Videos demonetarisiert werden? Es ist natürlich extrem wichtig, Kinder zu schützen. Die neuen Regeln werden aber erneut einseitig zu Lasten der Creators umgesetzt.
YouTube hat am 04.09.2019 bekanntgeben, dass Werbung auf Videos „für Kinder“ (unter 12 Jahren) künftig nicht mehr erlaubt ist. Kommentare und Benachrichtigungen zu diesen Videos werden ebenfalls deaktiviert. Die Entscheidung ist Teil eines Vergleichs mit der amerikanischen Bundeshandelskommission (United States Federal Trade Commission, FTC), die für Verbraucherschutz zuständig ist. Die FTC stellte fest, dass YouTubes Tracking-Technologien, die zur Schaltung gezielter Anzeigen verwendet werden, gegen die US-amerikanischen Kinderdatenschutzgesetze verstoßen. YouTube akzeptierte deswegen eine Geldstrafe von 170 Millionen Dollar (rund 154 Millionen Euro). Obwohl die entsprechenden Gesetze nur in den USA gelten, werden die Änderungen weltweit wirksam.
YouTube-Creators müssen künftig angeben, welche ihrer Videos "für Kinder gemacht" sind. YouTube will automatisierte "maschinelle Lernsysteme" und Zensoren („Classifier“) einsetzen, um "Videos zu identifizieren, die Kinder eindeutig ansprechen". Diese Systeme werden vermutlich denen ähneln, die schon jetzt zur Bewertung von Videos eingesetzt werden, damit die Community-Richtlinien von YouTube und die werbefreundlichen Inhaltsrichtlinien eingehalten werden. Dabei hat YouTube bereits eingeräumt, dass diese automatisierten Systeme durchaus fehlerbehaftet sind.
YouTube räumt ein, dass es diese Maßnahmen zur Folge haben können, dass es "zu einem Rückgang der Einnahmen für einige Creators“ kommt. Und weiter: "Wenn ein Creator versucht, die korrekte Kategorisierung seiner Inhalte zu vermeiden", könne es für ihn „Konsequenzen auf der YouTube-Plattform haben". Welche Konsequenzen das genau sein werden, ist derzeit öffentlich nicht bekannt.
Die bisher vagen Ankündigungen bereiten vielen YouTube-Creators erhebliche Sorgen. So schreibt die YouTube-Expertin Julia Alexander in „The Verge“: Die Änderungen „mögen den Zuschauern nicht wie eine große Sache erscheinen, aber sie könnten für die Creators katastrophal sein. Wenn Kanäle keine Benachrichtigungen für bestimmte Videos mehr senden können, werden weniger Personen diese Videos innerhalb der ersten entscheidenden Stunden ansehen. Dies könnte dazu führen, dass YouTube weniger Videos von diesem Creator empfiehlt. Weniger Empfehlungen bedeuten weniger Views. Weniger Views bedeuten weniger Geld.“
Das erhöht den Druck auf die Creators. Auf Betreiben der Werbeindustrie sind bereits in der Vergangenheit Inhalte demonetarisiert oder sogar gesperrt worden. Viele Creators haben deswegen darauf gesetzt, Inhalte für Kinder zu produzieren - gewaltfrei, familienfreundlich, für Werbung geeignet. Einige Creators ändern bereits ihre Inhalte, um deutlich zu machen, dass ihre Videos sich nicht an Kinder richten. Die Unsicherheit wirkt sich nicht nur darauf aus, wie viel Geld die Creators auf dem Konto haben. Die Unsicherheit führt auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Journalistin Julia Alexander zitiert YouTuber Een vom Sender Nerd City: "Die mangelnde Transparenz auf YouTube führt zu ernsthaften Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Creators."
Durch die bevorstehenden Änderungen wird es noch wichtiger, dass YouTube den Forderungen nachkommt, die FairTube aufgestellt hat: Volle Transparenz, nachvollziehbare Entscheidungen, menschliche Ansprechpartner, Einspruchsmöglichkeiten, Beteiligung der Creators an Einzelentscheidungen und strategischen Weichenstellungen. Andere haben schon reagiert: Die Richtlinen von Google, nach denen Inhalte bewertet werden, sind öffentlich. Und auch Facebook hat im vergangenen Jahr seine Moderationsrichtlinien veröffentlicht.